Nach Westen! Immer wieder zieht es uns in diese Himmelsrichtung. Immer wieder der untergehenden Sonne entgegen, bis es nicht mehr weitergehen mag. So manches Westend ist so zu unserem Ziel geworden, sowohl auf dem europäischen wie dem amerikanischen Kontinent. Denn im Westen enden die Kontinente spektakulär im Meeresrauschen, bäumen sich zu Klippen und Gebirgen auf und formen die wunderbarsten Küstenlinien.
Im Jahr 2023 sind es sogar zwei wunderbare Begegnungen geworden. Im Frühjahr stand der Südwesten Englands auf dem Programm, die historischen Grafschaften Devon und Cornwall, wo England so mild und freundlich wirkt und gleichzeitig mit spektakulären Küstenfelsen pittoreske Kontrapunkte setzt.
Im Herbst ging es dann nach Wales, das andere Westend der Britischen Insel, wo sich Berge und Meer ein zauberhaftes Stelldichein geben und wo der Reisende erfährt, dass es sich bei Wales mitnichten um England handelt. Auf jedem Verkehrsschild, jeder öffentlichen Äußerung wird er daran erinnert, dass er sich in einem Gemeinwesen befindet, das beharrlich um seine Identität ringt und seine alte Sprache unübersehbar nach vorne schiebt.
Der Reisende stößt an Grenzen
Seit dem Brexit ist die Einreise ins Vereinigte Königreich ein Akt, der deutlich machen soll, dass man Europa verlässt. Der Fährhafen von Calais ist zu einer Festung ausgebaut worden. Mehrere Checkpoints sind zu passieren, Pass- und Zollkontrolle wie ehedem, dazu Sicherheitsschleusen, die zu passieren sind. Das Königreich lässt nicht jeden zu sich.
Nachdem man uns aber über Sinn und Zweck unserer Einreise befragt hatte, durften wir an Bord.
Westwärts.
Die weißen Kreideklippen von Dover signalisieren schon von Weitem, dass man sich der Insel nähert. Das Reiseerlebnis per klassischer Fähre ist nach wie vor der schönste Weg, um auf die Insel zu gelangen. Die alternative per Zug durch den Kanaltunnel überlassen wir gerne den Leuten, die wenig Zeit haben. Die Fahrt quer durch den Süden Englands legt man mit dem Wagen in wenigen Stunden zurück. Je weiter man nach Westen kommt, desto schöner und weniger bevölkert wird es. Die einzige größere Stadt, die man in den westlichen Regionen passiert – Exeter, die Hauptstadt von Devon – hat man schnell hinter sich gelassen; dann wird es endgültig ländlich. Der Westen lebt vom Tourismus und von der Landwirtschaft.
Devon und Cornwall
Von den beiden Grafschaften im Südwesten ist Cornwall bei uns zweifellos die bekanntere, nicht zuletzt dank der Romanautorin Rosamunde Pilcher, deren Werk im ZDF bis zur Unkenntlichkeit zerfilmt wurde. Aber abseits solcher klischeehaften Darstellung muss festgestellt werden, dass Cornwall wirklich ein wunderschöner Landstrich ist. Die pittoresken Küsten, die exponierte Lage zwischen den Meeren, die nahezu mediterrane Pflanzenwelt und die hochentwickelte Gartenkultur sind legendär.
Aber noch eindrucksvoller ist - nach übereinstimmender Meinung von Kennern - der Norden von Devon. Dessen Küstenlandschaft mit seinen himmelhohen Klippen, den knallbunten Felswänden und den endlosen Sandstränden befriedigen nicht nur alle denkbaren Sehnsüchte, sie geben auch wundervolle Fotomotive ab.
Die schönsten Plätze an der Küste
Im Nordwesten von Devon, dort wo der Atlantische Ozean in den Bristol-Kanal übergeht, liegt einer der magischen Flecken dieser rauen Küstenlandschaft: Hartland Quay. Der Name Quay ist heute nicht mehr zutreffend, aber tatsächlich existierte seit der Zeit Heinrichs des VIII (der mit den sechs Frauen) eine Hafenanlage an der Stelle; ein mächtiger Sturm im Jahr 1887 setzte dem Bauwerk jedoch ein ruhmloses Ende, alles versank im tosenden Meer.
Die Landschaft darum herum ist dramatisch, umsäumt von hohen schwarzen Klippen, schroffen Zacken und scharfkantigen Sägezähnen aus Schiefer an den Stränden, sogenannten Ledges. Diese Leisten sind für die Küste im Norden signifikant, sie bestehen aus schwarzen Schieferplatten, die im Laufe der Erdgeschichte senkrecht gestellt und seither von der Brandung stetig nachgeschärft wurden. Kein empfehlenswerter Badestrand, aber ein bemerkenswerter Anblick.
Steine, die Geschichten erzählen
Einige Meilen südlich von Hartland zeigt die Küste Devons weitere Variationen origineller Strandgestaltung. Auf einer abenteuerlichen schmalen Piste zwischen üppiger Vegetation erreicht man den Strand von Welcombe Mouth. Hier mündet ein kleiner Bach in Gestalt eines hübschen Wasserfalls. Der Strand ist übersät von sogenannten Pebbles, also rundgeschliffenen Kieseln, die in der Meeresbrandung klackern.
Der Strand von Sandymouth noch etwas südlicher präsentiert ein Panoptikum an farbenfrohen Gesteinsformationen. Die Faltungen der zutage tretenden Felswände sind spektakulär, ihre Farben geradezu unglaublich. Aber sie sind echt. Da liegt an der Zusammensetzung des Gesteins und seinem holhen Gehalt an Metallverbindungen.
Der mineralische Reichtum der Region wurde schon im Altertum entdeckt und hatte bis weit ins 19. Jahrhundert große Bedeutung für den Zinn- und Kupferbergbau. Der lohnt heute nicht mehr, aber die Überreste der „tin mines“ mit ihren konischen Schornsteinen sind noch überall in der Gegend zu sehen.
Noch weiter im Süden, ganz nahe am „Land*s End“ befindet sich ein landschaftliches Kleinod, das sich gut versteckt. Wer den Strand von Porth Nanven erreicht, muss mutig über mannsgroße Kiesel steigen, um in den Genuss spektakulärer Panoramen zu kommen. Es lohnt sich, denn hier bilden Gesteinsküste und Meer eine faszinierende Liaison, die man gerne ins Bild setzt.
Diese Logenplätze an der Küste haben zudem den Vorteil, dass sie niemals überlaufen sind, da sie reichlich Platz bieten oder etwas versteckt liegen. Gedränge gibt es eher an Plätzen wie Land*s End (ein Rummelplatz) oder Widemouth Bay (ein Bade- und Surfparadies), klassische Touristenziele in Cornwall.
Im Landesinneren: Dartmoor
Im Herzen Devons findet der Reisende ein eindrucksvolles Kontrastprogramm zur wilden Küstenlandschaft. Dartmoor ist ein Granitmassiv, das aus der flachen Umgebung bis 600 Meter hoch herausragt und einen dramatischen Kontrapunkt zur lieblichen Hecken- und Hügellandschaft der Grafschaft setzt. Moor und Heide bedecken weite Teile des Massivs. Bei schlechtem Wetter wirkt die Gegend abweisend und unheimlich, aber auch faszinierend. Nahezu menschenleer, diente Dartmoor unter anderem als Standort für ein berüchtigtes Gefängnis, das heute als Museum ein wesentlicher touristischer Faktor der nahe gelegenen Kleinstadt Princetown ist.
Aber es gibt auch lieblichere Flecken im Dartmoor Nationalpark, unter anderem das Gebiet von Emsworthy Mire, wo im Frühling hundertrausende von Bluebells die Hänge bedecken.
Interessanterweise sind in Dartmoor – trotz oder gerade wegen seiner dünnen Besiedlung die ältesten menschlichen Spuren von ganz England nachgewiesen worden. Bereits seit der Altsteinzeit haben hier Menschen gelebt und Kulturdenkmäler wie Steinkreise oder Menhire hinterlassen.
Aber auch Dartmoor ist gefährdet: Die großen Moorflächen sind wertvolle Wasserspeicher, die mittlerweile von vielen Städten und Gemeinden im Umland genutzt werden. Umweltschützer befürchten, dass zu viel des kostbaren Wassers dadurch verloren geht. Auch Bodenschätze locken Landräuber an, In der Nähe soll Kaolin abgebaut werden. Dagegen wird von einer wachen Naturschutzorganisation aktiv gearbeitet. Immer mehr Briten verschreiben sich dem Naturschutz, der König ist da ein populäres Vorbild. Als „Besitzer“ weiter Teile von Cornwall und als langjähriger Prince of Wales hat er allen Anlass, ein besonderes Augenmerk auf diese Landesteile zu legen.
Auf nach Wales, das andere Westend
Kurz hinter Bristol hört England auf und der Reisende bemerkt sofort, dass Wales beginnt. Alle Straßenschilder sind walisisch, dieser alten keltischen Sprache mit ihren vielen Konsonanten und Wortungetümen. Zwar wird gnädigerweise noch die englische Variante nachgeschoben, aber erst an zweiter Stelle.
Wenn man bedenkt, dass nur eine Minderheit der 3 Millionen Waliser diese Sprache im Alltag nutzt, wird klar, dass hier politischer Wille am Werk ist. Die Waliser wollen nicht Engländer sein und auch nicht so genannt werden.
Ein grünes Land – Wie ein riesengroßer Park
Tom Jones besang einst stimmmächtig und sentimental das „Green, green grass of Home“. Man kanns verstehen, das Grün ist walisisches Kulturgut und allgegenwärtig, Im Süden, im Nationalpark Pembrokeshire reicht es bis an die Küsten, die es mit goldenen Stränden und felsigen Klippen umsäumen.
Viele Strände im Süden von Wales sind sehenswert und lohnen einen Besuch, beispielsweise Freshwater (East und West) oder die Barafundle Bay unweit von Stackpole, südlich von Pembroke, der namensgebenden Gemeinde der alten Grafschaft.
Herausragende Landmarke in dieser Region aber ist die Green Bridge of Wales. Grün ist sie nicht, denn es handelt sich dabei um ein einsames Felsentor, das die Steilküste schmückt. Der Platz ist aber gefährlich, weil inmitten eines militärischen Sperrgebiets gelegen, auf dem regelmäßig scharf geschossen wird. Nur am Wochenende ist der Zugang in der Regel möglich, da machen die Soldaten Pause. Bei unserem Besuch herrschte dort geschätzt Windstärke 10, was das Fotografieren beträchtlich erschwerte. Ein Stativ aufzustellen, wäre sicherlich keine gute Idee gewesen.
Sanfte Buchten, grüne Hügel, uralte Eichen
Der Süden von Wales ist ländlich und abseits der Küsten hügelig und sehr grün. Offenes Weideland ist mit unzähligen Schafen weiß getupft und insinuiert ländliche Idylle. Kein Mensch weiß genau, wie viele Schafe es in Wales gibt, Schätzungen sprechen von 9 bis 10 Millionen, also kommen auf jeden Waliser im Schnitt drei Schafe deren Hauptaufgabe es ist, das Gas kurz zu halten und das Grün des Landes mit weißen Tupfen zu dekorieren.
Spektakulär sind in Wales die uralten Eichenbestände, die Bäume werden nicht sehr hoch, aber sie zeigen eine umwerfende Formenvielfalt. Besonders berühmt sind die Vorkommen im Gebiet von Ty Canol im Norden von Pembrokeshire. Aber auch im Süden nahe der Küste findet man bemerkenswerte Waldlandschaften mit originellen Farben und Formen wie die Lily Ponds bei Stackpole, die sich inmitten alter efeuumrankten Baumbestände ausbreiten.
Der Weg nach Norden
Der Weg in den Norden von Wales bietet die Gelegenheit, die Schönheiten seiner Westküste zu suchen und zu finden. Man kann nur raten, sich dabei Zeit zu lassen. In unserm Fall hat das Wetter mitgespielt und uns eine ganze Reihe von erlebenswerten Küstenorten zugänglich gemacht, ehe wir an unserem nördlichen Quartier in dem Städtchen Dolgellau (sprich dɔl'gɛɬaɨ̩) ankamen.
Herbes Gebirgsland
Herzstück des walisischen Nordens ist der Snowdonia Nationalpark, er beherbergt nicht nur den höchsten Berg des Landes, den Snowdon, der sich mehr als1000 Meter über das Land erhebt, sondern auch jede Menge idyllischer Täler, Seen, Wasserfälle und sonstiger Naturschönheiten.
Es ist aber nicht ganz leicht, dieser Attraktionen vollständig teilhaftig zu werden, wenn das Wetter sich hartnäckig weigert, ein freundliches Gesicht aufzusetzen. Die herbe Schönheit des Nordens kommt bei Regen noch etwas herber herüber als bei sonniger Witterung,
Dennoch bleiben durchaus schöne Augenblicke in bleibender Erinnerung. Vereinzelt kommt man auch bei sehr britischem Wetter in den Genuss der vielbeschworenen „sunny spells“, die den schwarzgrauen Wolken die Stirn bieten. Die vielen wilden Bäche und Wasserfälle geben auch bei Regen ein gutes Bild ab und der „Lone Tree in Llanberris (Doppel LL am Anfang spricht sich übrigens KL) ist bei hohem Wasserstand möglicherweise noch ein bisschen einsamer als sonst.
Und die grauen Steinhäuser, die den Norden von Wales so signifikant prägen, haben ihren eigenen Reiz. Den entfalten sie am augenfälligsten bei echt britischem Nieselwetter, Sonnenschein würde da nur stören
Reisen im Vereinigten Königreich
Der Brexit hat zwar dazu geführt, dass die Einreise einem ausgeklügelten Hindernislauf ähnelt, aber auf der Insel selbst merkt man davon nichts mehr. Kontinentaleuropäer sind nach wie vor willkommen, das Preisniveau ist allerdings etwas höher als in Mitteleuropa. An vielen interessanten Standorten in England und in Wales sorgt der National Trust – eine gemeinnützige Organisation für Denkmalpflege und Naturschutz – für saftige Eintrittspreise oder Parkgebühren. Aber er sorgt auch dafür, dass die von ihm betreuten Objekte nicht verkauft oder zerstört werden. Heute besitzt der National Trust mit etwa 2550 km² Grundbesitz 1,5 Prozent des Landes, sowie über 1193 km Küstenlinie. Dies sind etwa zehn Prozent der gesamten Küste in England, Wales und Nordirand.
So gesehen ist die Insel in guten Händen und wird auch in den kommenden Jahren ein attraktives Reiseland bleiben.
Reisetipp: immer nach Westen schauen, dort sind (fast) immer die schönsten Attraktionen zuhause.