Vom Pazifik zu den Rockies - von Orcas zu Grizzlies.

Ich melde mich, weil ich Anlass zu berichten habe. Wir (nämlich meine Teuerste und ich) sind letzte Woche aus dem Westen Kanadas zurückgekehrt. Wir haben uns zu dieser Reise schon im letzten Herbst entschlossen und - Krise hin, Krise her - den Plan gnadenlos durchgezogen. Es war die bisher eindrucksvollste Reise meines

Lebens und ich würde platzen, wenn ich davon nicht erzählen würde.

Start in Vancouver, übergesetzt nach Vancouver Island, von dessen Nordspitze per Schiff durch die Inside Passage nach Prince Rupert. Von dort über Prince George zu den Rockies, über den Icefield Parkway von Jasper nach Banff und von dort wieder zurück.

Die Zielregion British Columbia ist weder britisch noch Kolumbien, wie man weiß, dafür aber sicherlich eine der schönsten Gegenden der Welt.  Erste Etappe: der Flug nach Vancouver. Die Stadt hatten wir schon vor vier Jahren erstmals kennengelernt. Sie liegt einmalig schön zwischen Meer und Hochgebirge, was sich vor allem beim Anblick von oben äußerst eindrucksvoll darbietet. Downtown ist sie eine typische amerikanische Großstadt, wegen der Olympischen Spiele im nächsten Jahr mit erhöhter Bautätigkeit.

 

Jeder dritte Einwohner Vancouvers ist übrigens mittlerweile chinesischer Herkunft (!), Chinatown ist allerdings alles andere als pittoresk. Umso kontrastreicher dann die Umgebung; die Außenbezirke der Stadt strotzen vor bourgeoisem Wohlstand, alles ist blitzblank.

Im Hafen von Vancouver starten und landen auch Flugzeuge

Vancouver Island - das Tor zur Wildnis

Unsere Reiseroute sah einen Rundkurs vor, an der Westküste nach Norden, dann quer durchs Land hinüber zu den Rockies, durch die Nationalparks von Jasper und Banff nach Süden und dann zurück nach Westen, Rückflug wieder ab Vancouver. Für das ganze hatten wir 14 Tage Zeit, also ein straffes Programm.

 

Da es an der Westküste keine Straßenverbindung Richtung Alaska gibt, muss man übersetzen nach Vancouver Island. Diese vorgelagerte Insel (etwa so groß wie Holland, damit man eine Vorstellung hat), ist eine Welt für sich. Bei der Ausfahrt aus dem Fährhafen Tsawassen wurden wir von einem Orca verabschiedet. Dann geht es durch ein zauberhaftes Insellabyrinth hinüber zur großen Insel mit der Hauptstadt von British Columbia, Victoria. Sie sieht aus wie aus dem Britischen Empire entlaufen, mit roten Doppeldeckerbussen und gediegenen Geschäften. Nur das Wetter ist dort besser als in Britain. Zumindest gilt das für den Süden und Osten der Insel. Die Westküste ist sturmzerzaust, regenreich und praktisch unbewohnt. Im Osten hingegen liegt Kanadas Riviera, ein Badeort am anderen; es scheint viel Sonne dort, weit mehr als bei uns.

Die Inselwelt zwischen dem Festland und Vancouver Island ist ein Paradies

Es gibt nur einen Weg nach Norden: die Inside Passage

Die Insel haben wir in zwei Tagesetappen von Süd nach Nord durchmessen  um uns dann von der Nordspitze aus auf die Fähre nach Prince Rupert zu begeben. Es ist der einzig mögliche Verkehrsweg, man nutzt die sogenannte "Inside Passage" die so heißt, weil das Schiff praktisch nie das offene Meer sieht. (Ein Blick auf den Atlas verrät es: tausende von Inseln und Inselsinseln schirmen die Westküste vom rauen Pazifik ab und ermöglichen eine sturmfreie Überfahrt.

 

Diese ist vor allem bei schönem Wetter unvergesslich. Noch schöner ist es, wenn - wie in unserem Falle - die Fahrt bei grauem Nieselwetter beginnt, im Lauf der 15-stündigen Schifffahrt der Himmel mehr und mehr auflockert und am Ende der Passage ein Sonnenuntergang den Reisetag beschließt - ohne Mehrpreis!

Inside the inside Passage - immer vor Stürmen und rauher See geschützt.

Zwischen den Gebirgen

In Prince Rupert (zumindest der Name ist britisch-koloniales Erbe) befindet man sich dann auf 54 Grad nördlicher Breite und ganz nahe der Grenze zu Alaska. Das ist nicht so nördlich wie man vielleicht glaubt, denn Alaska reicht mit seinem "panhandleziemlich weit nach Süden. Die Gegend ist atemberaubend, die Stadt nicht.

 

Ab nach Osten, durch das Küstengebirge, den Skeena River hoch (Riesenflüsse dort, es ist alles ein bisschen größer als bei uns) und durch Gegenden, die bei uns kein Mensch kennt, in Richtung Rocky Mountains. Der Raum zwischen den Gebirgszügen ist nicht unbedingt spektakulär, aber abwechslungsreich, üppig grün und so dünn besiedelt, dass man im Lauf der Reise menschliche Spuren

durchaus zu schätzen lernt.

Da! Ein Auto! Ein eher seltener Anblick auf dem Weg von der Küste zum Gebirge.

Die Rockies sind erreicht.

In Prince George (wieder so eine Stadt mit so einem royalen Namen) erreicht man den wirtschaftlichen Mittelpunkt des nördlichen Landesteils; eine Stadt ohne sehenswerte Highlights, geprägt von pragmatischer Nüchternheit, aber auch den besten Hamburgern, die man weit und breit kriegen kann. 

 

Dann wird es wirklich atemberaubend. Die Annäherung an die Berge der Rockies verursacht gesteigerte Erwartungen. Ganz unvermittelt aus Blumenwiesen hochgewachsen steht er dann da; der Mount Robson, höchster Berg der kanadischen Rockies, 4.000 Meter hoch, aus schwarzem gebändertem Fels mit einer malerischen Schneedecke, die seine Schroffheit nur unzulänglich kaschieren kann. Anschließend über den Yellowhead-Pass hinüber in die Nachbarprovinz Alberta, nach Jasper und seinen Nationalpark.

Der Mount Robson, höchster Berg in den kanadischen Rockies

Der Icefield Parkway

Die beiden Nationalparks von Jasper und Banff werden durch eine 230 Kilometer lange Panoramastraße zusammengehalten. Der "Icefield Parkway" zählt zu den schönsten Straßenzügen, die Amerika zu bieten hat; eine Straße ohne enge Kurven oder arge Steigungen, daher kann da jeder drüber (auch Wohnmobile, die bei uns allenfalls als Autobusse zugelassen würden). Zwei Pässe über 2.000 Meter Höhe verbinden die Längstäler an deren Seiten sich eine Sehenswürdigkeit an die andere reiht. Gletscher, Wasserfälle und ein Dreitausender am anderen, einer schöner als der vorhergehende. Wir haben uns diese Straße 2 mal vorgenommen, denn am ersten Tag war das Wetter übellaunig; tags darauf haben wir die schönsten Punkte vom Süden her nochmals

angesteuert und wurden reich mit "Picture Points" belohnt.

Der Maligne Lake im Jasper National Park. 40 km gefrorene Schönheit.

Nicht jeder Bär ist ein Grizzly, aber jeder Grizzly....

In Lake Louise (bekannt aus dem Skizirkus) endet diese Traumstraße, ohne dann unattraktiv zu werden. Im Gegenteil: auf dem Weg von Lake Louise nach Banff hatten wir unser Grizzly-Erlebnis: ein Riesenvieh, das friedlich auf den Bahngleisen der Canadian Pacific Railway Getreidekörner suchte. Die fallen beim Transport aus den Zügen, die westwärts zu den Pazifikhäfen gondeln. So konnten wir uns dem Tier auf ca. 30 Meter nähern (im Auto, zu Fuß wäre das selbstmörderisch) und es auf die Platte bannen.

 

In Banff angekommen ist man plötzlich mitten in der Stadt. Eher europäisches Ambiente, ein urbaner Stadtkern, alles zu Fuß erreichbar; ein Hauch von Luxus zudem, aber im Mai - absolute Nebensaison - ein Ort, in dem man es prima aushalten kann. Zumindest zwei Nächte in einer ziemlich noblen Absteige, die aber zu dieser Jahreszeit und bei dem zu diesem Zeitpunkt  günstigen Wechselkurs für uns Europäer durchaus erschwinglich war.

Der erste Grizzly - den vergisst man nie.

Durch die Wüste an die Küste

Der Rückweg durch die Nationalparks von Yoho und Revelstoke ist dann ein wunderschöner Bonus, den man einfach nur genießen muss. Eine Übernachtung in einem Indianerreservat am Sushwap Lake (einem riesigen, stark verzweigten See mit angeblich 1.000 km Uferlinie) lässt einen zumindest an der kulturellen Identität der Urbevölkerung schnuppern. Das kommt aber bei so einer Reise eindeutig zu kurz. Als touristischer Farbtupfer sind die "First Nations" wie die Ureinwohner politisch korrekt genannt werden sollen, dem Staat natürlich hochwillkommen, aber das Kapitel ist nach wie vor sehr, sehr traurig. Es ist nicht zu erwarten, dass sich da irgendwann eine wirkliche Integration ergibt. Zu weit auseinander sind die kulturellen Prägungen. Indianer, die in Jahrhunderten in und von der Natur gelebt haben und Ackerbau und Viehzucht als überflüssig erachteten, können diese Vorkonditionierung nicht in wenigen Generationen ohne Identitätsverlust aufgeben.

Am Ufer des aufgestauten Thompson River zwischen Kamloops und Cache Creek geht es wüstenhaft zu.

Dann wird's staubig. Bei uns ist weitgehend unbekannt, dass Kanada in seinem südlicheren Landesteil auch Wüstenlandschaften bereithält. Innerhalb einer halben Autostunde wird üppiges Grün zu abweisendem Braun und Grau. Exotisch, interessant und gar nicht langweilig, wenn man an einem Tag da durchfährt. Kontrastprogramm umso mehr, als der Tag in Whistler endet, einem Skiort im Küstengebirge, der schon so im Olympiafieber steckt, dass man es mit dem Messer schneiden kann. Da war noch Skibetrieb bis 31. Mai. Dann werden die Skifahrer gegen Mountainbiker ausgetauscht und das business geht  weiter. Der Ort selber aber ist charmant, ein bisschen retortig zwar, aber nicht steril. Alle Gebäude stammen so aus den 70er, 80er und 90 Jahren, sind in postmodernem Stil gehalten und die dezent bunten Holzfassaden passen alle irgendwie zusammen. Eine Fußgängerzone, die ihren Namen wirklich verdient, lässt vergessen, dass man sich in Amerika befindet.

Zurück in Vancouver, Ende einer eindrucksvollen Rundreise. Vor der City liegt der riesige Stanley Park, die grüne Seele der Stadt.

Die letzten hundertzwanzig Kilometer nach Vancouver waren nur noch ein Auslaufen mit leichter Wehmut, dass alles schon wieder zu Ende gehen musste. Letztes Abendessen in der "Old Spaghetti Factory" in der Water Street (empfehlenswert, da gut, kultiviert und preiswert) und dann ab nach Old Europe.

 

(Mai/Juni 2009)

 

Oh Kanada! (ein sentimentaler Nachtrag)

 

Diese Begegnung mit dem westlichen Ende Kanadas markierte den Beginn einer großen Empathie. Dieses Land hat so viele eindrückliche und charmante Facetten. Woran das liegen mag? Ein bisschen vielleicht an der kulturellen Mischung des Angelsächsischen mit dem Französischen, vor allem im Osten des Landes. Immerhin haben es die Franko-Kanadier durchgesetzt, dass jede offizielle Lautäußerung im ganzen Land zweisprachig abgefasst ist. Selbst im Westen, wo keiner französisch spricht.

 

Kanada ist bei aller Nähe zum American Way of Life in seiner kulturellen Ausrichtung etwas anders als die USA. Schon der Umgang mit den Ureinwohnern, den "First Nations" wie sie jetzt genannt werden, fand früher eine humane Wendung als beim südlichen Nachbarn. Entscheidend aber ist, dass die Natur die wirkliche Herrscherin über das Land ist. Bei allem Bemühen, ihr die Schätze ihres Bodens abzuringen, schaut der Mensch dabei ziemlich klein aus. Zwar ist jedes einzelne Projekt dieser Öl, Gas,  Eisenerz und andere Rohstoffe herauswürgenden Industrie riesig und weltweit vielfach  das Größte; aber noch größer ist das Land und seine Natur. Die ökologischen Sünden sind da, aber sie verdünnen und verlaufen sich in der Weite des Landes. Kanda ist größer als die USA, hat aber nur ein Zehntel seiner Einwohnerschaft. Da ist viel Platz für Werden und Vergehen.

 

Und es ist auch ein Umdenken in Gang gekommen. Das offizielle Kanada gibt sich ökologisch bewusst. Aber die Wirklichkeit ist natürlich härter. Sechs Jahre später, im Jahr 2015 führte mich der Weg wieder ins Land. Und die Erkenntnis daraus ist unausweichlich: nach wie vor spricht der Mensch anders als er handelt. Auch in Kanada.

 

(geschrieben im Juni 2015)