Alaska, Yukon und die fatalen Folgen der Zivilisation

Alaska zu bereisen bietet ein Kaleidoskop unterschiedlichster Eindrücke. Grandiose Landschaften wechseln sich ab mit abscheulichen Zivilisationsschäden. Aber selbst die Ölindustrie hat es bisher nur stellenweise geschafft, die faszinierende Natur dieser Weltgegend nachhaltig zu zerstören.

Die Reise führte von Anchorage nach Osten und weiter in das kanadische Yukon-Territory. In Tok (Bildmitte) kreuzten sich Hin- und Rückweg.

Wo anfangen? Am besten mit dem Hinflug. An Spitzbergen vorbei, über Nordgrönland schweben und erst kurz vor der Landung in Anchorage sieht man ihn dann: Denali, höchster Berg Nordamerikas, bei uns bekannt als Mount McKinley. Über 6.000 Meter hoch, aber was noch viel frappanter ist - er überragt alles Umstehende so dominant, in nur 20 km Luftlinie vom Gipfel stehst du auf 550 Meter Seehöhe und kannst bei schönem Wetter den Gipfel bewundern. Meist allerdings hüllt er sein Haupt in kräftiges Gewölk. So haben auch wir ihn nur von oben bewundert - die Aufnahme entstand aus etwa 10.000 Metern Höhe. Von unten blieb er uns wie den meisten Besuchern verborgen.

Der Denali ist der höchste Berg Nordamerikas. Die Welt kennt ihn auch als Mt. McKinley.

Anchorage und die Kenai Halbinsel

Landung in Anchorage, der Hauptstadt. Anchorage ist mit 350.000 Einwohnern die einzige Großstadt Alaskas und beherbergt die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Staates. Die Stadt hat etwa den Charme eines Industriegebiets mit ein paar eingestreuten Hotelhochhäusern. Aber deswegen fährt man ja nicht hin. Dafür wird's außerhalb umso schöner.

 

Der erste Teil der Reise ging nach Süden, nach Seward auf der Kenai-Halbinsel. Ein Erdbeben in den 60er Jahren ließ den Boden an der Küste absinken, was das Phänomen der ersoffenen Wälder (drunken forest) und küstennaher Sumpflandschaften hervorrief. Heute stellt sich das äußerst pittoresk dar.

Ein Erdbeben in den 60er Jahren ließ diese küstennahe Landschaft ersaufen.

Die grandiose Berg- und Gletscherwelt

Dann hieß es Abschied nehmen vom Meer, denn der eigentliche Reiz Alaskas sind seine Berge, Gletscher, Seen und Flüsse. Der Wrangell-St. Elias Nationalpark im Südosten bildet mit dem angrenzenden Kluane-Nationalpark in Kanada ein geschlossenes, nahezu unzugängliches Gebiet in der Größe Irlands. Man kann da nur zu Fuß oder per Flieger weiterkommen.

 

Ein Rundflug mit einer kleinen Cessna ist in dieser Gegend daher kein Luxus, sondern der beste Weg für den Reisenden, diese Gegend überhaupt  zu verstehen. Wenn man von oben auf diese 50, 60 Kilometer langen Gletscherzungen hinunter schaut, entdeckt man nicht nur bizarre Strukturen, sondern erfasst auch Dimensionen, die einem bislang verschlossen waren. Ein Flug über diese einzigartige Gletscherwelt verschafft einem Einblicke in die Natur, die auch abgebrühte Weltenbummler nie vergessen dürften.

Die Gletscher im Wrangell-St. Elias Nationalpark bieten ein unvergessliches Bild.

Die wenigen Bewohner dieser Nationalparks leben in winzigen Ortschaften (z.B. Mc Carthy: im Winter 12 im Sommer 50 Einwohner). Natürlich sind alle motorisiert. Und wenn eine Karre verreckt, wird sie da stehen gelassen, wo sie ist und ein neuer fahrbarer Untersatz besorgt. Es ist genug Platz und die Abschleppkosten seien viel zu hoch, sagt man. Und so rosten die alten Gefährte munter vor sich hin, werden von Büschen und Bäumen überwuchert und eines fernen Tages werden sie wohl wieder zu Erz werden.

Auf dem Weg nach McCarthy - ein Haus inmitten von Nirgendwo.

Gold, Kupfer, Öl- es ist immer die gleiche Geschichte

Erz - das ist der Grund, warum der weiße Mann überhaupt in dieser Gegend lebt: die Suche nach Bodenschätzen ist der Fluch dieses Landstrichs. Vor 150 Jahren begann der ganze Schlamassel mit dem Goldrausch, dann war es das Kupfer, jetzt ist es das Öl. Alles Dinge, mit denen die Ureinwohner - Athabaska-Indianer und Inuit - nichts am Hut bzw. an der Fellmütze hatten. Heute leben diese Menschen mehr oder weniger integriert im Lande; entweder in Rückzugsgebieten ohne nennenswerte Infrastruktur oder  inmitten der "westlichen Zivilisation" wo für viele dann nur eine Rolle am Rande der etablierten Gesellschaft übrig bleibt.

 

Oberhalb von McCarthy zeugen die Ruinen des Kupferbergwerks von Kennycott von früherem industriellem Reichtum, der längst verblichen ist. Die 100 Kilometer lange Bahnlinie von McCarthy nach Chitina, die einst wegen der Kupfermine angelegt wurde, ist zu einer Schotterstraße mutiert, auf der sich mühsam Pick-Ups durch die Einsamkeit kämpfen. Doch die alten Minengebäude werden gerade restauriert - für die Touristen, die einem solchen Industriedenkmal in der Einsamkeit einen gewissen Reiz abgewinnen können.

Die hinfällige Kupfermine von Kennykott - ein Industriedenkmal

Dreitausend Meilen Einsamkeit

Zurück zur Reise: man kann es sich als Europäer nur schwer vorstellen. Das Land ist riesig, leer und wunderschön. Wir sind in den 14  Tagen  ziemlich genau fünftausend Kilometer abgefahren und haben doch nur einen Bruchteil dieses Gebiets bereist. Denn zu Alaska kommt ja noch das kanadische Yukon-Terrytory dazu, das sich östlich anschließt und das man unbedingt auch gesehen haben muss. Dort ist die Leere noch krasser. Das ganze Gebiet - etwa anderthalb Mal so groß wie Deutschland - wird von 36.000 Menschen bewohnt, davon leben 22.000 in der Hauptstadt Whitehorse. Irgendwo zwischen Whitehorse und Dawson City habe ich die Aufnahme des seerosenbestückten Sees gemacht, der nichts weiter tut als spiegeln. Es ist still und gigantisch.

Hier stört kein Mensch - außer man selbst. Irgendwo am Yukon.

Dawson City - lebendige Nostalgie

Dawson City überrascht mit Charme und einer gewissen Urbanität, die man in dieser einsamen Region nicht vermutet hätte. Das einstige Zentrum der Goldsuche an der Mündung des Klondike in den Yukon ist heute ein kleines Freilichtmuseum mit 1.200 Einwohnern. Aber ein sehr lebendiges! Nachdem die Goldsucher die ganze Gegend umgegraben und ausgebeutet haben, sind sie unter Hinterlassung einer Mondlandschaft abgezogen. Der industrielle Goldabbau lohnt nicht mehr, jetzt haben die Abenteurer und Digger die Gegend wieder entdeckt und finden wohl auch noch das eine oder andere Körnchen Gold. Digger und Touristen mischen sich zu einem bunten Völkchen und ernähren die ansässigen Gewerbetreibenden wohl ausreichend. Touristennepp verspürt man aber nicht, man fühlt sich willkommen und reell behandelt.

 

Die künstliche Grenze nach Alaska

Auf der 3.000 Kilometer langen Staatsgrenze zwischen Alaska (USA) und dem Yukon Territory (Kanada) - schnurgerade und mit einer breiten Waldschneise markiert -  existieren nur zwei Grenzübergänge für Fahrzeuge, eine davon ganzjährig. Mehr Verkehr hat es nicht und braucht es nicht. Der "Top-of-the-world Highway" führt von Dawson City hinüber nach Alaska, nach einer Tagesreise erreicht man den Ort Tok, der für alle, die Alaska mit dem Fahrzeug ansteuern oder verlassen, unausweichlich ist. Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die Landkarte.

Das Tal des Yukon bei Dawson City

Zurück in Alaska - und es wird wärmer

Die weitere Reise durch Zentral-Alaska ist nicht mehr so spektakulär aber dennoch eindrucksvoll. Die Stadt Fairbanks ist das Versorgungszentrum der Region, die Universität dort genießt einen guten Ruf. Aber auch hier ist die Kultur nicht mit Händen zu greifen. Auch diese Stadt wirkt wie ein Gewerbegebiet mit 36.000 Bewohnern. Bemerkenswert sind allerdings die Temperatursprünge: wir hatten dort 80 Grad Fahrenheit (also etwa 26 Grad Celsius), aber es können im Hochsommer auch mal 40 Grad Celsius werden (im Winter aber auch mal minus 40). Das in einem Land, in dem es nur zwei Jahreszeiten gibt, 3 Monate Sommer und 9 Monate Winter.

Natürlich fragt man die Leute, wie es sich im Winter dort lebt und erhält die freundliche Auskunft: danke, prima! Die Winter sind kalt und trocken, der Schnee hält sich in Grenzen, Schmuddelwetter gibt es nicht. Im Oktober frieren die Flüsse zu, im Mai sind sie wieder aufgetaut, dann explodiert die Natur und lässt alles wachsen und gedeihen. Weil im Sommer die Sonne praktisch nicht untergeht, gibt es in der langen Wachstumsperiode rekordverdächtige Kürbisse und Krautköpfe. Dafür ist es im Winter meist ziemlich finster, aber da zieht man sich dann in seine Häuser zurück und macht das, wozu man im Sommer nicht gekommen ist.

 

Den Abschluss der Reise bildete eine ganztägige Fahrt durch den Denali-Nationalparkt (mit dem Bus, weil da kein Auto hinein darf). Leider war das Wetter dort übellaunig und die "Tierausbeute" war weniger spektakulär als erwartet. Dennoch ein Erlebnis.

Eine Elchkuh mit zwei Kälbern im Schwimmbad. Die Kleinen sind wohl wasserscheu.

Fazit: ein tolles Land

Was stört sind nur die Menschen bzw. die menschlichen Spuren unserer Zivilisation. Überall dort, wo niedriges Gewinnstreben seinen Platz gefunden hat, sind die Lebensbedingungen übel. Die unansehnlichen Städte, die Bergwerksruinen, die in der Landschaft zurückgelassenen Autowracks zeichnen ein Bild, das unserem "Fortschritt" vor der Geschichte ein dürftiges Zeugnis ausstellt. Man kann dort erahnen, was die Ureinwohner erlebt haben müssen, als der weiße Mann in ihren Lebensraum eindrang. Es war, als ob bei uns Außerirdische einfallen würden, uns diktieren, wie wir zu leben und arbeiten haben und uns die besten und ergiebigsten Lebensräume wegnehmen oder zumüllen würden.

 

Keine schöne Vorstellung. Aber so ist es in Alaska.

 

(Juli 2010)