Von Vatn zu Vatn, von Jökull zu Jökull.

Der Inselstaat im Nordatlantik ist ein Reiseziel, auf das man sich am besten gut vorbereitet. Denn sonst könnte es gut geschehen, dass man Dinge übersieht, die man nicht übersehen sollte. So dicht sind die Wunder der Natur auf diesem Fleckchen Erde gepackt, dass der Reisende allein mit Staunen ganze Tage verbringen könnte.

Rund um die Insel - mit einem Abstecher ins östliche Hochland

Was für ein Land! Da kannst du der Erde beim Entstehen zusehen und bist gerade 3 Stunden von zu Hause entfernt. So lange fliegt man nämlich von Frankfurt nach Reykjavik. Islands Hauptstadt - vor 30 Jahren noch ein etwas größeres Dorf - tut heute fast wie eine Metropole. Gut, 150.000 Einwohner sind nicht die Welt, aber immerhin die Hälfte der gesamten Inselbevölkerung. So kann man absehen, welchen Stellenwert die Stadt im Staate haben muss. Und sie gibt sich alle Mühe, diesem Stellenwert zu entsprechen.

Die Harpa - das Veranstaltungsgebäude ist das neue Wahrzeichen von Reykjavik.

Was so sehr überrascht, ist die lebendige Urbanität der Stadt, die sich auch in einem weithin gerühmten Nachtleben spiegeln soll. Glaubhaft, wenn man sieht, wie lebensfroh die Bevölkerung des Inselreiches ist. Überall triffst du auf junge Menschen, vor allem auch im Arbeitsleben. Ob Restaurant, Hotel, Tankstelle, Laden - man kann den Eindruck haben, dass fast ausschließlich Kinder und Jugendliche die Arbeit machen. Ganz anders als in Zentraleuropa, wo die Alten unübersehbar sind.

 

Der "Golden Circle" - Island in der Nussschale

Wie (fast) jeder Islandreisende haben wir uns zu Anfang auf den "Golden Circle" begeben. Das ist von der Hauptstadt ein Tagesausflug und ermöglicht es eiligen Leuten, den Inselstaat sozusagen in der Nussschale zu erleben. Ein Wochenendtrip, und man hat a) Geschichte (Thingvellir, die Wiege der isländischen Demokratie) b) geothermische Phänomene (die berühmten Geysire) und c) den wohl schönsten Wasserfall des Landes, den Gullfoss.

Die Bruchlinie zwischen der europäischen und der amerikanischen Kontintalplatte verläuft quer durch Island. Diese Aufnahme entstand von der europäischen Seite aus.

Was Island von anderen Ländern unterscheidet

Thingvellir ist eigentlich nur ein kleiner Riss in der Landschaft. Interessant daran ist jedoch, dass dieser kleine Riss die Nahtstelle zwischen der amerikanischen und der europäischen Kontinentalplatte markiert. Beide Kontinente entfernen sich millimeterweise voneinander, was uns aber nicht weiter beunruhigen sollte.

Þingvellir und Þingvallavatn (Das Þ spricht sich wie das englische th)
Aber den Isländern ist der Platz aus einem anderen Grunde wichtig. Hier tagte schon vor tausend Jahren das Altthing, das erste Parlament Europas, wenn man von der Antike absieht. Daher postulieren die Isländer, die älteste demokratisch verfasste Nation des modernen Europas zu sein. Auch wenn die demokratische Tradition nicht ungebrochen ist, hat sie sich als hochgradig identitäststiftend für das Land ausgewirkt und spielt auch heute noch eine große soziokulturelle Rolle.
Der Geysir Strokkur ist der eifrigste und zuverlässigste seiner Zunft. Alle 5 - 6 Minuten zeigt er, was er kann.

Geysir und Gullfoss - Wasserspektakel heiß und kalt

Die Geysire in der Nähe sind spektakulär, auch weil es weltweit gar nicht so viele dieser geothermischen Springquellen gibt. Der Große Geysir, der Namensgeber aller seiner Artgenossen, tut seit einigen Jahren gar nichts mehr. Er liegt in seinem Becken und dampft ein bisschen vor sich hin.

 

Aber er hat einen tüchtigen Stellvertreter: der Strokkur (Butterfass), nur einen Steinwurf weiter, zeigt, was ein richtiger isländischer Geysir ist. Emsig steigt alle 5-6 Minuten eine kräftige Dampfblase aus der Tiefe, das Wasser wölbt sich grünschimmernd hoch und produziert mit Zischen und Dampfen einen 30 Meter hohen Wasserturm, der binnen Sekunden wieder platschend in sich zusammenfällt. Dann liegt das Brünnlein wieder friedlich da, bis wenige Minuten später die nächste Dampfblase aufsteigt.

 

So einen zuverlässigen und fleißigen Geysir gibt es auf der Welt kein zweites Mal. Auch die Artgenossen in Amerika und Neuseeland können da nicht mithalten.

Der mächtige Gullfoss schmückt sich häufig mit einem spektakulären Regenbogen über der Hvita-Schlucht.

Der Gullfoss, der "Goldene Wasserfall" ist weder der größte, höchste noch wasserreichste des Landes, aber wegen seiner relativen Nähe zur Hauptstadt wahrscheinlich der berühmteste. Und eindrucksvoll ist er allemal, besonders, wenn er sein Festkleid anlegt und einen leuchtenden Regenbogen über die Schlucht spannt, in die sich sein Wasser nach getaner Arbeit hinabstürzt.

 

Westwärts in die Einsamkeit

Was dann folgte, war die erlebnisreichste Reise, an die ich mich erinnere. Jeder zurückgelegte Kilometer eröffnet einem eine neue ungeahnte Überraschung. Wir haben uns erst einmal den Westen vorgenommen, die Halbinsel Snefaelsnes mit ihrem berühmten Wahrzeichen, dem Snaefelsjökull. (Ein Jökull ist immer ein Gletscher, oftmals steckt ein Vulkan drunter). Nach Umrundung dieser pittoresken Halbinsel haben wir uns auf die Fähre über den Breidhafjördur begeben (er heißt so, weil er 70 km breit ist), um auf die sogenannten Westfjorde zu gelangen.

In den Westfjorden ist wirklich nicht viel los. Auch um diesen Kahn kümmerst sich keiner mehr.

Die Westfjorde sind die einsamste, aber auch die landschaftlich wahrscheinlich eindrucksvollste Gegend Islands. Am westlichsten Punkt Europas, an den 400 Meter hohen Klippen von Latrabjarg, brüten hunderttausende von Seevögeln, darunter die höchst merkwürdigen Papageitaucher, die in Island Lundi heißen.

Ein Papageitaucher auf den 400 Meter hohen Klippen von Latrabjarg
Eingeschnittene enge Fjorde zwischen hohen Tafelbergen, einsame Gehöfte, blühende Lupinenfelder und winzige Ortschaften in abenteuerlicher Lage prägen das Bild. Die Hauptstadt dieser Region, Isafjördur, zählt gerade mal 2.500 Einwohner, genug für eine umfangreiche Infrastruktur inklusive Hochschule.
Einer der spektakulärsten Wasserfälle in ganz Island ist der Dynjandi-Fall im einsamen Westen des Landes.

Der grüne Norden des "Eislandes"

Unser Reiseplan sah die Umrundung der Insel vor, wobei wir alle interessanten Randlagen mitnehmen wollten. Die Ringstraße, die um Island herumführt, berührt viele der interessanten Punkte, viele aber auch nicht. Deswegen haben wir oftmals Abstecher gemacht, vor allem im Norden der Insel mit ihren Halbinseln, von denen jede einen eigenen Charakter hat.

 

Überraschenderweise ist der Norden der grünere Inselteil mit dem milderen Klima. Dort wird auch Landwirtschaft betrieben (wenig Ackerbau, hauptsächlich Schaf- und Pferdezucht). Bäume aber wachsen auch dort so gut wie keine. Um an Holz zu kommen, sammelt man an der gesamten Nordküste Treibholz, das aus Sibirien angeschwemmt wird. In großen Mengen lagert es an den Küsten, um zu Zaunpfählen, Telegrafenmasten und anderem verarbeitet zu werden. Sibirien liefert reichlich, ohne dass Russland Rechnung stellen würde. So eine kostenlose Rohstoffversorgung lässt man sich doch gerne gefallen.

Islandpferde sind einzigartig und dürfen daher das Land nicht verlassen. Wenn doch, wird ihnen von Staats wegen die Rückkehr verwehrt. Die Rasse soll "rein" bleiben. Bei Tieren gilt das noch nicht als Rassismus.

Mit einem anderen Rohstoff ist Island hingegen reichlich gesegnet: Energie. Man nutzt die Erdwärme in vielfältiger Weise, in geothermischen Kraftwerken wird sie zu Strom verarbeitet, in Gewächshäusern zu Gemüse und in der berühmten Blauen Lagune im äußersten Südwesten des Landes zu Wellness.

 

Wir haben im Norden drei Halbinseln umrundet bzw. durchquert, mit Erstaunen 6 Kilometer lange Autotunnel durchfahren, die zwei 300-Seelen-Dörfer miteinander verbinden, und als einen der Höhepunkte Buckelwale bewundert, die vor dem Hafenort Husavik den Walbeobachtungsbooten ihre Aufwartung machen: 16 - 18 Meter lange Getüme, die offenbar ihren Frieden mit den Menschen gemacht haben, obwohl die Isländer immer große Walschlächter vor dem Herrn waren. Ein sehr berührendes Erlebnis, auch wenn man nur die schwarzen Rücken der Kolosse sieht und hin und wieder eine Schwanzfinne, wenn sie wieder abtauchen in die Tiefe des Ozeans. Wenn sie an die Oberfläche kommen, blasen sie eine Fontäne als wollten sie zeigen: hier bin ich jetzt.

 

Den spektakulärsten Höhepunkt einer Runde durch den Isländischen Norden findet man am Dettifoss. Dieser Wasserfall beeindruckt durch seine Wasserfülle. An keinem Ort in Europa stürzt mehr Wasser pro Sekunde in die Tiefe, 200.000 Liter sind es im Jahresdurchschnitt hier, was einer Dauerleistung von etwa 85 Megawatt entspräche. Aber der Dettifoss ist wild und muss seine Kraft nicht an de Menschen abtreten. Er darf weiter  ungehindert brüllend in die Tiefe stürzen.

Der Dettifoss im Nordosten Islands ist Europas größter Wasserfall - mehr Wasser führt keiner. Die graubraune Farbe des Wassers ist kein Schmutz, sondern Gletschersediment, also sauberer Dreck.

Mutter Erde ist nicht untätig

Im Nordosten Islands liegt der Myvatn (ein Vatn ist immer ein See, eine My ist immer eine Mücke). Der Mückensee also ist umgeben von den wildesten und tätigsten Vulkanlandschaften des erdgeschichtlich blutjungen Eilands.  Fumarolen und Solfataren treiben lustige Urständ. Es brodelt und zischt in dubiosen Erdlöchern, betongraue Flüssigkeiten unbekannter Herkunft spielen Sieden und werfen Blasen. Aus Gesteinslöchern entweicht stinkender Dampf und hinterlässt gelbe Schwefelspuren - man blickt wahrhaftig in die Hölle. 5 Kilometer weiter ragt einer der aktivsten Vulkane, die Krafla in den Himmel. In unserem Beisein tat sie aber ganz unschuldig.

Rund um den Myvatn kann man der Erde beim Entstehen zusehen.

Ein anderer Vulkan, die Katla an der Südküste hat uns dann aber beinahe einen Strich durch unsere Reiseroute gemacht. Sie tat, was Vulkane hin und wieder tun und brach aus. Dummerweise liegt ihr Gipfel unter einem Gletscher, (dem Myrdalsjökull) was zur Folge hat, dass eine gehörige Menge Gletscherwasser abschmolz, (man nennt das Gletscherlauf), zu Tal rauschte und eine etwa 200 Meter lange Brücke zerstörte. Die Ringstraße war damit unterbrochen, eine Umleitung mit normalen Fahrzeugen nicht zu bewältigen, da hätte man reißende Flüsse durchqueren müssen, was mit unserem Fahrzeug weder möglich noch erlaubt war.

 

Aber die Isländer haben einen hervorragenden Katastrophenschutz, den sie sich vernünftigerweise statt eines Militärs leisten. Der handelte schnell und entschlossen, nach wenigen Tagen war eine "Fährverbindung" organisiert. Fähre hieß in diesem Fall: hochrädrige Lastwagen, die in der Lage waren, den angeschwollenen Fluss auf einer Furt zu durchqueren. Die nahmen die ankommenden Autos huckepack und setzten sie aufs andere Ufer über. Die Passagiere wurden parallel  in einem ähnlichen Spezialgefährt mit Kabine auf der Ladefläche über den Fluss gebracht.

Fährverbindung auf isländisch. Per Lastwagen über den Gletscherlauf.

Der kalte Süden

Die Südküste wird vor allem durch die Ausläufer des Vatnajökull bestimmt, Europas größtem Gletscher. Er ist mehr als doppelt so groß wie die Insel Mallorca, seine Eisdecke ist bis zu 1.000 Meter dick. Eine seiner Gletscherzungen reicht fast bis ans Meer und bildet ein wahres Naturwunder: den Jökulsarlon, eine Gletscherlagune, die über einen ca. 1 km langen Fluss mit dem offenen Meer verbunden ist. Der Gletscher kalbt in die Lagune, seine Eisberge schimmern in allen Farben von strahlend weiß, glasklar, tiefblau bis schwarz.

Im Jökulsarlon warten die Eisberge auf ihren Weitertransport ins offene Meer

Haushohe Brocken warten vor dem Ausgang der Lagune und suchen das Weite. Das finden sie aber nur, wenn die Flut sie soweit hebt, dass sie nicht mehr auf dem Boden des Flusses kratzen und die beginnende Ebbe sie dann ins Meer hinaus zieht. Zweimal am Tag erfolgt dieser Eiszug. Die zurückkehrende Flut schiebt die flüchtigen Eisberge dann wieder auf den schwarzen Lavastrand vor der Küste. Dort schmelzen sie langsam dahin, werden von der Brandung malträtiert und bieten ein bizarres Bild von eigenwilliger Schönheit.

 

Man könnte endlos weiter berichten, wie zauberhaft, pittoresk und vielfältig diese Insel ist.  Besonders eindrucksvoll ist natürlich das Landesinnere. In der Regel nur mit Geländewagen überhaupt zu bereisen, gibt es dennoch ein paar Ausnahmen. Denn trotz reichlicher geothermischer Energiequellen setzen die Isländer auch auf Wasserkraft und bauen entsprechende Kraftwerke. Die Bauarbeiten hinterlassen Straßen, die auch der gemeine Reisende nutzen kann, um ein Stück ins Landesinnere vorzudringen. So ist es möglich und erlaubt, von Egilstadir aus, einem Städtchen im Osten, bis an den Nordrand des Vatnajökull vorzustoßen.

Das bizarre Landesinnere ist nicht immer gebirgig. Es gibt auch solche pittoresken Hochebenen.

Was nehmen wir mit?

Für Wärme suchende Mitteleuropäer ist Island ein bisschen frisch, vor allem wenn der Wind weht. Im Juli sind 12 Grad nicht üppig, in Island aber die zu erwartende Tagestemperatur. Es kann aber auch deutlich kälter sein, vor allem an der Südküste, wo der Vatnajökull das Wetter bestimmt.

 

Island gilt nicht nur als kalt, sondern auch als teuer. Allerdings kann man sich ein wenig dagegen wappnen, wenn man nicht wie ein unbedarfter Tourist von Hotel zu Restaurant zieht, sondern ein bisschen genügsamer ist. Wir haben in den Quartieren immer ein ziemlich reichhaltiges Frühstück bekommen, das einen über den Tag gebracht hat. Nachmittags gab es irgendwo einen Kaffee und ein Stück Kuchen, abends irgendwo Fast Food. Höherwertige Versuchungen sind ohnehin selten, denn das kulinarische Nivau auf der Insel ist von großer Bescheidenheit gekennzeichnet.

 

Und die Menschen?

Ein Volk von gerade mal 300.000 Individuen, abgeschnitten von der übrigen Welt, muss einzigartig sein. Schon die Sprache ist es. Die alte Wikingersprache sollte immer "rein" gehalten werden von Angli- und sonstigen -zismen, was weitgehend auch gelang. Die Folge ist eine einsame Sprachinsel, der die übrige Welt staunend, aber ratlos gegenübersteht. Wenn man nach dem Weg nach xy fragen muss, schaut man in völlig ratlose Gesichter, denn man hat mit Sicherheit den Ortsnamen so falsch ausgesprochen, dass der Einheimische ihn gar nicht verstehen konnte. Ansonsten kann man sich mit englisch gut verständigen. Wie sonst sollen die Isländer überhaupt mit anderen verkehren? Kaum ein Ausländer spricht ihre Sprache.

 

Vom Sprachtourismus ist die Insel also unbeleckt. Trotzdem fahren viele Europäer hin, um zu sehen, was sie sonst nicht zu sehen bekommen, lauter Superlative,: die größten und schönsten Wasserfälle, die tätigsten Vulkane, die kochenden Geysire, die ausgedehntesten und dicksten Gletscher außerhalb der Polarregionen, das einsame, völlig unbewohnte Hochland im Inneren, die bizarren Farben der Felsen.  Es ist im wahrsten Sinn des Wortes einmalig und ich bin froh und dankbar, dass ich das alles sehen durfte.

 

(Sommer 2011)

Zu den Eigentümlichkeiten der Isländer zählt auch, dass sie früher ihre Häuser aus Grassoden gebaut haben.