Highlands and Islands  - Schottlands einsamer Nordwesten

Kann man über Schottland berichten, ohne über Whisky zu sprechen? Ohne über Männer, die karierte Röcke tragen? Ohne über Loch Ness und sein Ungeheuer?

 

Man kann. Wer nach Schottland reist, bemerkt sehr schnell, dass dieses Land mehr zu bieten hat als altbekannte Geschichten und Klischees. Und wer sich auf den entlegenen und einsamen Norden des Landes einlässt, umso mehr.

 

Schottlands Norden ist das schönste Ende des Vereinigten Königrreichs. Meer und Gebirge bilden eine hinreißende Mischung aus kargem Fels, wild umbrandeten Küsten, einsamen Mooren, grünen Wiesen, weißen Stränden  - und jeder Menge Schafe.

 

Von der Inselwelt der Hebriden über die nördlichen Highlands bis zur einsamen Nordküste ging unsere Reise - zwei unvergessliche Wochen lang. Eine kurze Zeit nur, aber eine enorm intensive und erlebnisreiche.

Der Norden Schottlands mit den wichtigsten Stationen unserer Reise

Erstes Ziel: die Isle of Skye

Die Isle of Skye ist die größte Insel der Inneren Hebriden. Sie ist auch mit Sicherheit die schönste, weil sie so viele unterschiedliche Landschaftsformen in sich vereint: pittoreske Küsten, schroffe Berge und dazwischen weithin grüne  Hügel. Diese sind allerdings besetzt, und zwar von Schafen. Skye ist nämlich nicht nur eine Augen- sondern auch eine Schafweide. Das mindert zwar die Wanderlust angesichts vieler Zäune und massiv bekleckerter Landschaft, tut aber der Schönheit dieser Insel keinen Abbruch. Über Sinn und Unsinn der extensiven Schafzucht in ganz Schottland mag man allerdings ins Grübeln geraten. Dazu aber an anderer Stelle.

Die Insel Skye (Quelle: Wikipedia)

Skye ist seit dem Brückenschlag von Kyle of Lochalsh nach Kyleakin im Jahr 1995 nach Meinung vieler Einheimischer gar keine „richtige“ Insel mehr. Man braucht keine Fähre, um sie zu erreichen. Das hat Folgen: mehr Verkehr, mehr Tourismus, aber auch mehr Wohlstand für die Insulaner. Und Skye ist selber eine Brücke – hinüber auf die Äußeren Hebriden. Vom kleinen Hafen Uig im Nordwesten der Halbinsel Trotternish starten Fähren nach Tarbert (auf Harris) und Lochmaddy (auf North Uist). Dennoch empfindet man als Mitteleuropäer die Insel als ruhig. Gerade mal gut 9.000 Einwohner soll das 80 Kilometer lange und bis 40 Kilometer breite  Eiland zählen. Da bleibt viel Platz für Landschaft, auch wenn sich darüber hinaus viele Zweitwohnsitze und Ferienhäuser in der Weite der Insel verlieren.

Der Old Man of Storr ist eines der Wahrzeichen der Halbinsel Trotternish

Trotternish – die Nordhalbinsel mit dem "Alten Mann"

Nördlich der Inselhauptstadt Portree - einem hübsch herausgeputzten  Hafenstädtchen mit gut 2.000 Einwohnern - liegt die Halbinsel Trotternish, ein landschaftliches Juwel. Von weitem schon fällt der „Old Man of Storr“ ins Auge, eine unübersehbare Landmarke auf der Schulter des Gebirgszugs, der ihr den Namen gibt. 

Auf dem Weg zum Alten Mann

Natürlich ist der Schauplatz legendenumwoben und natürlich ist der „alte Mann“ Ziel zahlreicher Wanderer. Kurios, dass während des Aufstiegs die Felsnadel nahezu unsichtbar bleibt, weil sie im dahinter liegenden gleichfarbigen Gestein optisch untergeht. Erst wenn man unmittelbar an ihrem Fuß steht, sieht man sie wieder; stolze 48 Meter hoch und doch ein eher banaler Anblick. Für mich ist diese Landmarke so etwas wie ein „Scheinriese“, der an empfundener Größe verliert, je näher man ihm kommt. Nur im direkten Größenvergleich ist es möglich, seine tatsächliche Dimension zu erfassen. 

Der "Alte Mann" aus der Nähe. Man beachte den Wanderer an seinem Fuß, um seine Größe besser einzuschätzen.

Aber Trotternish hat noch mehr zu bieten. Nach Passieren des „Kilt Rock“, einer senkrechten Felswand mit Wasserfall, der aber nur vom Meer her einsehbar ist, wartet das Quiraing-Gebirge auf Entdecker. Grüne Berge, die in felsigen Höhen enden – ein Wander- und Bergsteigerparadies, das man nicht unterschätzen sollte. Die Berge sind keine tausend Meter hoch, aber steil und brüchig. Die Aussicht von da oben auf die Inseln im Osten und das Festland der Halbinsel Wester Ross ist schlicht und einfach prachtvoll. Wenn das Wetter es zulässt. Sonst muss man wieder kommen. So groß ist Skye ja nicht.

Die Quiraing-Berge bieten einen beeindruckenden Ausblick nach Osten

Wem der Weg zu steil und die direkte Straße quer durch die gebirgige Halbinsel nach Uig zu schmal erscheint, kann Trotternish auch im Norden umfahren. Da wartet eine pittoreske Felsenküste auf die Besucher und weiter auf der Westseite ein basaltsäulengeschmückter Meeressaum mit Blick auf die Äußeren Hebriden, die am Horizont mit den Wolken um Aufmerksamkeit ringen.

Der Blick nach Westen auf die Äußere Hebrideninsel Lewis and Harris

Bauernland - Waternish und der Westen

Der größte Ort im Westen der Insel ist Dunvegan, berühmt wegen seines Schlosses, in dem seit über 800 Jahren ununterbrochen der Clan der Mc Leods residiert. Das ist Landesrekord. Ansonsten ist Dunvegan mit seinen 300 Einwohnern das Verkehrs- und  „Versorgungszentrum“ des Nordwestens Von hier aus erreicht man die Halbinseln Waternish und Duirinish, jede für sich ein landschaftlicher Leckerbissen. 

Für Schottland typische "sunny spells" schmücken die grünen Wiesen auf Waternish

Waternish ist eher ländlich-idyllisch, Duirinish weitläufig hügelig mit einem besonders schönen Westend: der Neist Point mit seinem Leuchtturm (den man aber erst sieht, wenn man vom Ende der Straße ein Stück nach Norden wandert) ist das Highlight der Halbinsel und hoch auf den Klippen geht der Blick wieder hinüber auf die Hebrideninsel Lewis and Harris, die zwar zwei Namen, aber nur eine zusammenhängende Landmasse hat.

Der Neist Point im äußersten Westen von Skye

Der wilde Süden – die Cuillin Hills.

Der Süden von Skye ist eine eigene Welt: nahezu unzugänglich, straßenlos und wild beherrschen die Cuillin Hills die Halbinsel Minginish. Es sind die höchsten Berge der Insel, in Fuß gerechnet fast Dreitausender. Seit man aber auch in Britannien Höhen in Metern angibt,  klingt das nicht mehr so eindrucksvoll. Aber auf die Größe kommt es nicht immer an. Ein tausend Meter hoher Berg, der direkt aus dem Meer aufsteigt, ist ohne Zweifel ein  beeindruckender Brocken. Und davon hat dieses Gebirge einige zu bieten. 

Blick von Elgol auf den Südabfall der Cuillins

Es gibt nur eine einzige Straße an den Fuß der Cuillins. Der Campingplatz von Glenbrittle ist ihr Endpunkt. Der ist während der „warmen“ Jahreszeit hoffnungslos überlaufen, selbst bei Regen. Man tut also gut daran, einen anderen Weg zu den Cuillins zu wählen. Wer wandern will, nimmt die Berge am besten von Sligachan aus unter die Beine. Wer aber „nur“ schauen will, sollte den Ort Elgol auf der südlich gelegenen Halbinsel Straitheard als Basis nehmen. Dort stehen die Hills wie in einem Amphitheater vor den Augen der Betrachter und von dem kleinen Hafen aus fährt ein Tuckerboot hinüber zum Loch Coruisk; dieser See soll ein traumhaftes Bergpanorama bieten. 

Von Sligachan aus kann man die Cuillins am besten erwandern

Wir haben das nicht erleben können, aus Witterungsgründen fuhr das Boot nicht. Wir fanden das Wetter zwar durchaus in Ordnung, kann sein, dass der wackere Schiffer andere Gründe hatte, den Verkehr ins Gebirge zu unterbinden.

Die Cuillins in der Abendsonne, Blick von Norden

Die Black und Red Cuillins sind auch aus respektvoller Entfernung ein immer sehenswertes Ensemble. Vor allem mit Wolkenschmuck, dann kann man nachempfinden, warum Skye „Wolkeninsel“ heißt. Das ist altnordisch, die Wikinger haben ihr den schönen Namen gegeben. Die Einwohner von Skye sprechen aber heute nicht mehr altnordisch, sondern Schottisch-Gälisch, zumindest 30 Prozent davon. Am besten versucht man es dann doch mit Englisch, das können alle dort.

Skye – eine Trauminsel?

Skye ist ohne Zweifel wunderschön und noch immer ein sehr lohnendes Reiseziel. Der wachsende Tourismus ist aber unübersehbar.  Als wir vor 14 Jahren schon einmal für kurze Zeit auf der Insel waren, erschien sie uns noch wilder und geheimnisvoller. Heute ist sie zugänglicher, komfortabler und sicherlich der touristische Hotspot der Region. Aber dennoch: Mit gerade mal 6 Einwohnern pro Quadratkilometer gilt Skye aus mitteleuropäischer Sicht statistisch als nahezu unbewohnt.

Die Wolkeninsel ist nur dünn besiedelt - wie der gesamt Nordwesten Schottlands

Und wenn auf jeden Einwohner zwei Touristen kämen, wären es immer noch gerade 18. Das entspräche  der Bevölkerungsdichte von Neuseeland. Auch das ist ein weithin leeres Land - und auch dort gibt es weitaus mehr Schafe als Menschen.  Die halten das Gras kurz und das Land grün, indem sie es kontinuierlich düngen -  ein Kreislauf des Lebens, der sich selbst vollkommen zu genügen scheint. Ob das Sinn und Zweck der Schafzucht in Schottland ist? Darüber wird noch zu sinnieren sein.

Das ist kein Schaf, sondern ein Hochlandrind. Obwohl es nicht nur im Hochland, sondern auch auf den Inseln vorkommt, ist es zahlenmäßig den Schafen um ein Millionenfaches unterlegen.

Wester Ross – das Festland grüßt mit purer Schönheit

Verlässt man die Inselwelt der Hebriden, ist es überaus ratsam in Küstennähe zu bleiben. Denn der Weg nach Norden über die Halbinselwelt von Wester Ross ist zwar lang, kurvenreich und bergig, aber der Weg wird belohnt mit fantastischen Aussichten auf das Meer und seine Inselwelt. Der Blick geht zurück nach Skye und die ihr vorgelagerte  Insel Raasay. Das Meer begleitete unseren Weg mit einem leuchtenden, nahezu unglaublichen Türkis, das an tropische Inselparadiese denken ließ. Einfach traumhaft!

Die Halbinsel Wester Ross prunkt mit allem, was ihre Landschaft zu bieten hat, inklusive Südseewasser

Die paar Ortschaften an der Strecke beherbergen nur wenige Menschen, auch hier sind die Schafe eindeutig in der Überzahl. In den Dörfern gibt es nur eine minimale Infrastruktur, aber wenn es gelingt, ein gemütliches Café zu finden, in dem man eine Tasse Tee und die wunderbaren Scones mit Butter und Jam bekommt, ist das Glück des Reisenden fast vollkommen. Ein Tipp: in Shieldag gibt es ein solches Café, Nanny‘s. Den Namen muss man sich aber nicht merken, es ist das einzige Café dort und nicht zu verfehlen.

Eine single track road auf Wester Ross

Die meisten Straßen im Norden Schottlands sind „single track roads“, also einspurig, mit Ausweichbuchten für den Gegenverkehr. Touristen vom Kontinent erkennt man daran, dass sie gelegentlich instinktiv nach rechts ausweichen. Der Linksverkehr ist Kopfsache. Man fährt bewusst auf der linken Seite und schafft das auch zu 99 Prozent. Nur spontan, beim Abbiegen und Ausweichen kann es passieren, dass die gewohnten Reflexe stärker sind.

Weiter nach Norden – die Einsamkeit wird größer

Je weiter man nach Norden in die Highlands vordringt, umso leerer wird das Land. Das liegt nicht nur an dem rauen Klima oder den kargen Böden. In früheren Jahrhunderten waren da durchaus mehr Menschen, die das Land besiedelt, bebaut und belebt haben. Kleinhäusler, Crofter genannt, arme Schlucker, Leibeigene und daher Verfügungsmasse des besitzenden Landadels. Im 18.Jahrhundert stellte der dann fest, dass es lukrativer wäre, die Kleinhäusler durch Schafe zu ersetzen. Damals war Schafwolle ein begehrtes Handelsgut und brachte hohe Profite. 

Calda House ist schon seit 1737 Ruine. Der Herzog von Sutherland, einer der wüstesten Betreiber der "Clearances" hat auch dieses Anwesen auf dem Gewissen. Hier waren allerdings keine Kleinhäusler betroffen, sondern der Clan der Mackenzies.

Die Menschen wurden vom Land vertrieben – an die Küste und weiter nach Amerika, wo viele in Nova Scotia eine neue Heimat fanden, einer kanadischen Provinz, deren Namen auch heute noch an die „Clearances“ erinnert. Dass die Landbesitzer formal im Recht waren mag stimmen, dass die Vertreibung dennoch ein gigantisches moralisches Unrecht war, bestreitet heute niemand mehr. 

Schafe schmücken auch die schönsten Küstenabschnitte

Die Menschen sind weg, die Schafe sind geblieben. Aber mit ihrer Profitabilität ist es nicht mehr so weit her. Die Wolle ist nahezu unverkäuflich und deckt gerade die Scherkosten, Milch und Käse fallen in der extensiven Schafzucht nicht an und nur das Fleisch der Lämmer bringt etwas Geld in die Kasse. Was die Frage vertieft, warum man trotzdem heute noch auf Schritt und Tritt auf Schafe und deren Hinterlassenschaften trifft.

Der Assynt: Küste, Seen, Berge - und niemand stört

Vorbei an dem Fischereihafen Ullapool, der letzten einigermaßen urbanen Ansiedlung in den nördlichen Highlands, erreicht man den Assynt. Dieser Bezirk in der ehemaligen Grafschaft Sutherland vereint alle landestypischen Erscheinungsformen auf relativ kleinem Raum: eine abwechslungsreiche Küste mit Klippen, Sandstränden und grünen Wiesen, dahinter ein Gebirgspanorama mit kargen Felsen und ungewöhnlichen Bergformen. 

Der Suilven (Hintergrund) ist einer der prägnantesten Berggipfel im Assynt

Dazwischen findet man Loch um Loch, wie die Schotten nicht nur ihre Binnenseen, sondern auch die Meeresbuchten nennen, in die die zahlreichen Flüsse münden. Schottlands höchster Wasserfall gehört ebenso in das Landschaftsbild des Assynt wie zahlreiche Höhlen, prähistorische Fundstätten wie die Bone Caves bei Ichnadamph, Schottlands tiefste Höhle. Am größten Binnensee, dem Loch Assynt, liegt Ardvreck Castle, eine malerische Ruine, an denen in Schottland bekanntlich kein Mangel herrscht.

Ardvreck Castle am Loch Assynt, gebaut ca. 1500; gegenwärtig bedenklicher Bauzustand.

Der Assynt ist darüber hinaus ein Eldorado für Geologen, denn die Erdgeschichte hat dort ungewöhnliche Kapriolen geschlagen. Weil das Gebirge dort so alt und verwittert ist, kam so manches davon zu Tage. Ältere Gesteine liegen zum Teil über jüngeren Schichten, was Fachleute fasziniert, normale Besucher des Landes vermutlich aber nicht so sehr aus der Fassung bringen dürfte.

Kontrastprogramm: die Summer Isles

Schottlands Norden hat eine Menge Facetten, karge Schroffheit gehört ebenso dazu wie liebliche Küstenlandschaften mit traumhaften Stränden. Ganz weit im Westen, unweit von Ullapool findet man eine solche Traumlandschaft. 

Brae of Achnahaird, eine nicht ganz typisch schottische Küstenpartie.

Nachdem man die die Ausläufer der Assynt-Berge hinter sich gelassen hat, stößt man auf eine ganz flache Küstenregion mit amphibischem Charakter und südländischem Charme. Vor der Küste im Loch Broom liegen die Summer Isles, ein Archipel mit größtenteils unbewohnten Inseln, die sich malerisch in der Bucht ausbreiten. Manche dienen Tauchern als Basis, andere sind Naturreservate, die dem National Trust unterstehen. Die größte Insel, Tanera Mòr, hat bis 2013 eine Fischfarm, ein Café und eine Poststation unterhalten, die sogar ihre eigenen Briefmarken drucken durfte. Aber auch diese Besonderheit ist gegenwärtig unbemannt.

Blick auf die Summer Isles im Loch Broom

Umso mehr staunt man, wenn man im nahen Örtchen Achiltbuie auf das „Summer Isles Hotel“ stößt, ein Vier-Sterne Haus am gefühlten Ende der bewohnten Welt, in dem man nobel speisen, fürstlich wohnen und – Selbstversuch – prima Tee trinken kann, selbstverständlich mit Scones, Butter und Marmelade.

Und wo hört Britannien dann auf?

Wenn man schon so weit nach Norden vorgestoßen ist, kann man nicht darauf verzichten, auch die Nordküste Schottlands aufzusuchen. Die Karte verspricht eine interessante Landschaft mit tiefen Buchten und spektakulären Felsen. Und wieder ist man überrascht: einerseits, weil die Küste beinahe noch schöner ist als weiter südlich – sofern das überhaupt messbar ist – zum anderen aber, dass man ab der Abzweigung nach Kinlochbervie nur noch auf einer single track road unterwegs ist, auf der Hauptverkehrsstraße zu Britanniens Nordende! 

58 Grad Nord, 4 Grad West. 12 Grad Wassertemperatur.

Die Gegend ist so dünn besiedelt und der Verkehr so gering, dass das einspurige Asphaltband als Infrastruktur völlig ausreicht. Der Hauptort Durness an der Nordküste stellt sich als eine Streusiedlung dar, der man seine Bedeutung als Versorgungszentrum der Region in keiner Weise ansieht.

Was es aber im Überfluss gibt, sind auch hier die Schafe. Die Züchter geben sich alle Mühe, die Weiden mit Zäunen zu sichern; Meile um Meile ziehen sie sich durch die Landschaft. Aber die Schafe finden immer wieder Lücken und bevölkern die leeren Straßen. Das ist in ganz Schottland so. Sodass man nicht um die Frage herumkommt:

 

“Wozu gibt es in Schottland so viele Schafe?“

 

Nach Auskunft der schottischen Regierung trägt die Land- und Forstwirtschaft lediglich 1% zur Binnenwirtschaftsleistung des Landes bei. Die Schafzucht selbst ist davon nur ein Bruchteil, denn Fischerei, Acker- und Gartenbau sowie das Bisschen Holzwirtschaft sind in dieser Statistik ebenfalls enthalten.

 

Die Frage nach dem Sinn und Zweck der flächendeckenden Schafzucht in Schottland ist daher mehr als berechtigt. 

Kein Wirtschaftsfaktor, aber unübersehbare Realität: Schottlands Schafe

Offiziell gibt es in Schottland 6,7 Millionen Schafe, also deutlich mehr als das Land Menschen hat. Aber ich vermute darüber hinaus eine beträchtliche Dunkelziffer, denn die Schafe sind allgegenwärtig. Wenn sie aber keinen relevanten Wirtschaftszweig darstellen, warum werden sie dann gehalten? Erstaunlicherweise habe ich bislang keine Quelle gefunden, die diese Frage schlüssig klärt.

Ein Erklärungsversuch: man hat einfach keinen Ausstieg gefunden. Durch die verbrecherischen Highland Clearances im 18. Und 19. Jahrhundert wurde das Land an die Schafzucht verkauft. Und nachdem der wirtschaftliche Sinn verloren gegangen ist, hat man sie einfach aus Tradition fortgesetzt. Zur Rechtfertigung wird behauptet, dass die kargen Böden nichts anderes erlauben würden, als Schafe darauf grasen zu lassen. Aber warum so viele? 

Dieser Friedhof ist voller Leben.

Nachdem die Wolle nichts oder fast nichts mehr wert ist, (Ausnahme: der berühmte Harris-Tweed) keine Milch und kein Käse anfällt, weil die Schafe nicht gemolken werden, kann es nur das Fleisch der Lämmer sein, das als handelbares Gut übrig bleibt. Da aber auch die Briten mehr Beef und Pork vertilgen als Lamb und der übrige Weltmarkt voll in der Hand Neuseelands liegt, kann auch das die Menge der Schafe nicht wirklich erklären.

Es gibt nur eine schlüssige Deutung: wahrscheinlich würde Schottland ohne die Schafe gnadenlos verbuschen. Es sind also 6,7 Millionen Landschaftspfleger unterwegs, die verhindern, dass Grashalme höher als ¾ inch werden, damit das Wachstum von Büschen und Bäumen auf den ihnen anvertrauten Flächen unterbinden und dieselben im Überfluss mit Nährstoffen versorgen, indem sie vorne fressen und hinten düngen.

Was die Schafe für uns übrig lassen

Abseits der Schafweiden – ja, es gibt auch einige Stellen ohne Schafe – gedeihen Pflanzen, die uns Kontinentaleuropäer jubeln lassen. Darunter Orchideen, die einfach am Straßenrand wachsen, wie das Moor-Knabenkraut, das es auch in einer sehr schönen weißen Variante gibt. 

Moor-Knabenkraut (Dactylorhiza maculata)

Islandmohn sieht man ebenso wie die gelbe Iris und – was für eine Freude – auch das Atlantische Hasenglöckchen, das wir hier in Süddeutschland vergeblich suchen. Und natürlich sind Wollgras und Fingerhut flächendeckend vorhanden. 

Atlantisches Hasenglöckchen (Hyacinthoides non-scripta)

Im Moor der Highlands gibt es fleischfressende Pflanzen wie den langblättrigen und den rundblättrigen Sonnentau oder das Gemeine Fettkraut, die in großer Zahl zu finden sind. Sie fressen allerdings nur Insekten, die Schafe sind vor ihnen sicher.

Der Langblättrige Sonnentau (Drosera anglica) vertilgt am liebsten zarte Insekten, die er langsam und mit Hingabe verdaut. Eine vegetarische Variante der Drosera existiert nicht.

Es bleibt auch noch etwas Gras für andere Tiere übrig. Rotwild - einst vom Landadel für Jagdzwecke eingesetzt – ist in Schottland mittlerweile weit verbreitet. Anders als bei uns versteckt es sich nicht in den Wäldern, sondern grast friedlich auf den Wiesen und hat wenig Scheu vor Menschen. Unvergessen bleiben uns die Hirschkühe, die wir im Bade überrascht haben. Die fanden das aber OK und haben sich nicht weiter geziert.

Hirschkuh (Cervus elaphus) im Bade

Good bye Scotland

Ohne Zweifel ist Schottland ein Naturereignis, das auf der Welt seinesgleichen sucht. Vor allem die nördlichen Highlands – dazu zählen wir alles, was nördlich des „Great Glen“, also der tiefen Landfurche zwischen Inverness und Fort William, liegt - bestechen durch ungebrochene Schönheit. Dort findet man Natur und Landschaft im Überfluss, Tourismus hingegen, obwohl Wirtschaftsfaktor Nummer 1 im Nordwesten, in absolut verträglichen Dosen.

Achnahaird Beach. Der Abschied von solchen Plätzen fällt schwer.

Der Unterschied wurde uns auf der Rückreise deutlich. Kaum hat man das Great Glen erreicht, gewinnt der homo touristicus deutlich  an Präsenz. Und am Ben Nevis, im Glen Coe und natürlich am Loch Ness bündelt er sich. Trotz aller landschaftlichen Schönheit – das ist nicht „unser Schottland“.

 

Unser Schottland ist auch spröde, grau und zuweilen kalt und feucht, aber ebenso überraschend heiter, farbenfroh und überaus freigiebig mit den Reizen der Natur. Dafür lieben wir es. 

 

(Juni 2016)